Einwassern

Frühling. Wie so viele Eigner kann ich es kaum erwarten, bis das Boot wieder ins Wasser kommt. Schon in der Woche vorher haben wir Gefühle wie ein kleines Kind kurz vor Weihnachten. Und auch vor dem entscheidenden Moment, an dem der Kiel ins Meer taucht, gibt es emotionale Höhenflüge. Da ist die Baustelle. Ein Stillleben aus altem Schleifpapier, Werkzeug, Staub und leeren Verpackungen von Bootszubehör. Aufräumen, putzen, wegstauen, polieren und aus der Baustelle wird wieder ein Schiff. Krantermin.

Sie schwimmt. Schnell gecheckt, sind die neuen Ventile dicht, springt der Motor nach dem Wechsel der Einspritzdüsen an? Der erste Abend an Bord. Noch ist es frisch, aber die erste Tasse Tee aus dem neuen Kessel ist das köstlichste Getränk der Welt.

In meinem türkischen Heimatdorf werden Schiffe gebaut. Das sind schon keine Boote mehr, das sind Schiffe von zwanzig bis dreißig Metern. Mitten auf einer Wiese werden eine Bandsäge und eine Hobelmaschine aufgestellt und dann geht es los. Nach Erfahrung und Überlieferung entstehen Gulets, die traditionellen, hölzernen Motorsegler. Der Bauplatz wird nach Verfügbarkeit ausgewählt, nicht nach Nähe zum Meer.

Das Einwassern gestaltet sich dann etwas aufwendiger. Da muss schon mal eine Strecke von über einem Kilometer an Land zurückgelegt werden. Ein massiver Holzschlitten wird unter den langen Kiel gespannt. Holzbalken werden auf die Straße gelegt und mit Hammelfett bestrichen. Ein Traktor zieht den Neubau dann in Richtung Ufer. Hat der Schlitten einen Balken verlassen, wird dieser nach vorne getragen und neu gefettet. Manchmal muss auch ein Elektrokabel, das über der Straße hängt, demontiert werden. Das Ganze dauert bis zu drei Tagen.

Wenn die hölzerne Schönheit schwimmt, ist der Eigner gewiss genau so glücklich, wie wir in diesem Augenblick.